Samstag, 27. Juni 2015

Irene Ferchl: Erzählte Stadt. Stuttgarts literarische Orte

Irene Ferchl: 
Erzählte Stadt
Stuttgarts literarische Orte
 


Was haben Goethe, Casanova, Hegel, Musil, Rimbaud und viele, viele andere Schriftsteller mehr miteinander zu tun? Eigentlich nicht viel, außer - dass sie alle eine Beziehung zu Stuttgart hatten.

Irene Ferchl hat alles zusammengetragen. 75 Schriftstellerinnen und Schriftsteller hat sie dingfest gemacht und ist ihren literarischen und Lebensspuren in Stuttgart nachgegangen.

Wo findet man in Stuttgart Erinnerungen an Schriftstellerinnen und Schriftsteller? Gibt es Wohnhäuser von Dichtern? Schauplätze in Romanen? Wer hat überhaupt hier gelebt und gearbeitet oder war zu Gast? Und hat vielleicht einen Kommentar über die Stadt und ihre Bewohner abgegeben?

Der Schiller und der Hegel, der Uhland und der Hauff, die sind bei uns die Regel, die fallen gar nicht auf
Tja, alle 4 Dichter aus diesem bekannten, und eigentlich ganz unschwäbisch unbescheidenen Reim sind in diesem - übrigens ausnehmend schön gemachten Büchlein vertreten. Aber wie gesagt noch viele, viel andere. Einiges aus ihrem Leben bzw. ihrer Beziehung zu Stuttgart ist bekannt: Schiller floh vor dem Herzog, Mörike zog zehnmal um, Hauff erdachte aus Langeweile Märchen und Musil seinen »Törleß«, Goethe beeindruckte mit seiner Rezitation und Ringelnatz im Varieté. Beckett drehte beim SDR, Andersch und Heißenbüttel erneuerten den Hörfunk. Hermann Lenz flanierte am liebsten durch die Straßen. Ottilie Wildermuth lernte kochen, Jella Lepman arbeitete als Redakteurin im Tagblatt-Turm, Marianne Ehrmann und Emma von Suckow führten Salons in Garten oder Kaserne. Jean Paul liebte die Silberburg, Lenau den Spargel. F. C. Delius weilte in Stuttgart wegen des Siemens-Prozesses, Casanova verließ es eilends wegen Spielschulden. Balzac kam zur Kur, Rimbaud zum Deutschstudium, W. G. Sebald, um das Literaturhaus zu eröffnen; Schorlaus Kommissar wohnt überm »Basta« und Polityckis Held speist beim »Brunnenwirt«.

Das Buch ist mit zeitgenössischen Porträts, Zeichnungen und Fotos, der Literaten illustriert. Am Schluss gibt es dankbarerweise ein Personenregister und im Anhang ein Literaturverzeichnis für diejenigen, die auf den Geschmack gekommen sind und weiterlesen möchten. Zu den Orten führen Ausschnitte aus dem Stadtplan. 

Eines aber wundert den Autor dieser Zeilen, zwar kein Lokalpatriot im üblichen Sinne, aber immer am Ausgleich interessiert: Gab es wirklich nur in der engeren Stadt und in Bad Cannstatt Schriftsteller? In keinem anderen Vorort der Stadt? Albrecht Goes zum Beispiel wird nur mit dem nach ihm benannten Platz in Verbindung gebracht. Ok, dort wird an ihn erinnert. Aber er lebte doch lange Zeit in Rohr. Gehen wir einfach mal davon aus, dass purer Zeit- und Platzmangel im Buch die Autorin von literarischen Ausflügen außerhalb der City abgehalten haben…  

Schließlich war sicherlich eine große Fleißarbeit, über alle angeführten Literaten etwas zu finden: Irene Ferchl erzählt in 75 kurzen Kapiteln von Menschen und Ereignissen, führt zu meist vergessenen literarischen Orten und verlockt zu weiterer Lektüre. Das Buch ergänzt das Projekt »Erzählte Stadt«, das während des 35. Deutschen Evangelischen Kirchentags im Juni 2015 in Stuttgart stattgefunden hat.

Zur Autorin:
Irene Ferchl, am Bodensee geboren, studierte in Stuttgart und arbeitet dort als freie Kulturjournalistin. 1993 gründete sie das »Literaturblatt für Baden-Württemberg« und ist bis heute dessen Chefredakteurin. Sie war Projektleiterin von Literaturfestivals und hat mehrere literarische Reiseführer u. a. zu Droste-Hülshoff, Stuttgart und Mörike verfasst sowie Anthologien herausgegeben, zuletzt »Geschichten aus Stuttgart«.

Irene Ferchl: Erzählte Stadt. Stuttgarts literarische Orte. 136 Seiten, 84 teils farbige Abbildungen, fester Einband. Silberburg-Verlag, Tübingen und Karlsruhe. ISBN 978-3-8425-1382-2. € 12,90
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