Donnerstag, 9. Mai 2019

Die Avantgarde in Stuttgart

unbezahlte Werbung

In den 1920er-Jahren erlebt Stuttgart eine aufregende Zeit – voller Freiheiten und Vergnügungen und mit einer jungen Kunstszene
Bilder einer Stadt auf dem Weg
in die Moderne



 Hans Scharoun, Wohnhaus in der Weissenhofsiedlung (1927); 
Bildnachweis: TMBW / Gregor Lengler

Spannende Jahre: 1922 feiert Oskar Schlemmers Triadisches Ballett in Stuttgart Uraufführung. Die Metropole am Neckar entwickelt sich zur Automobilstadt. Schon 1924 gibt es hier prozentual zur Bevölkerung mehr Kraftfahrzeuge als in Berlin. Mercedes-Benz wirbt mit dem Typus der sogenannten neuen Frau für seine Fahrzeuge – mit Damen, die Bubikopf zu dunkel geschminkten Augen tragen.

1927 berichtet die Weltpresse von New York bis Moskau über die Bauausstellung am Weissenhof. Und 1929 schließlich tritt die legendäre Tänzerin Josephine Baker spärlich bekleidet im Friedrichsbau auf und wird gefeiert. Die Kinos, Tanzbars und Badeanstalten boomen. Im Sommer besuchen viele Stuttgarter die Waldheime, die Arbeitervereine Anfang des Jahrhunderts errichtet haben. Weil die tägliche Arbeitszeit vieler Angestellter und Arbeiter reduziert worden ist, haben die Menschen abends freie Zeit, um sich zu vergnügen. Öffentliche Verkehrsmittel erlauben ihnen zudem eine neue Mobilität. Stuttgart ist im Rausch von Moderne, Kunst, Tempo, Freiheit.

„Wir haben in Stuttgart das Bauhaus erfunden“

Natürlich gibt es in vielen Metropolen Europas Goldene Zwanzigerjahre. Die Engländer nennen sie die Roaring Twenties, die Franzosen Les Années Folles. Verrückt sind diese Jahre nach dem Ersten Weltkrieg wirklich nicht nur in Berlin. „Stuttgart hatte schon damals ein sehr modernes Image“, erzählt Anja Krämer, die das Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier leitet. Und Steffen Egle, Leiter Bildung und Vermittlung in der Staatsgalerie Stuttgart, ergänzt: „Auch in der Museumspolitik war Stuttgart ein Hotspot. Man dachte in der Staatsgalerie sehr modern und interessierte sich für expressionistische Kunst.“ Schon seit 1905 lehrt an der Kunstakademie zudem Adolf Hölzel, der als wichtiger Vertreter der Moderne gilt und der um sich begabte junge Künstler wie Oskar Schlemmer, Johannes Itten, Willi Baumeister und Ida Kerkovius versammelt. „Man kann mit Fug und Recht sagen: Wir haben das Bauhaus erfunden“, meint Nils Büttner, Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte und Mitglied des Rektorats an der heutigen Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Denn in der Ausbildung bei Hölzel gibt es eine Grundlehre und Werkstätten wie später am Bauhaus. Schlemmer und Itten entwickeln viele der Hölzel-Ideen später am Bauhaus in Weimar weiter.

Wo kann man diese neue Kunst von damals heute noch erleben? Natürlich in der Staatsgalerie Stuttgart, wo neben dem Triadischen Ballett weitere wichtige Werke von Oskar Schlemmer zu sehen sind. Außerdem hängen dort auch fast immer Bilder von Willi Baumeister und Ida Kerkovius – neben vielen Hauptwerken der internationalen Moderne natürlich. Im Kunstmuseum Stuttgart am Schlossplatz gibt es ebenfalls mehrere Räume mit Bildern von Künstlern, die in den 1920er-Jahren Stuttgarts Ruf als spannende Kunststadt begründeten. Auch viele Bilder von Otto Dix sind dort zu sehen, unter anderem das Triptychon „Großstadt“.

Im Witwen-Express zum Waldfriedhof
Aber nicht nur Kunstwerke sind geblieben: Der Tagblattturm, 1924 als erstes Stahlbeton-Hochhaus Deutschlands geplant, ist ein Wahrzeichen der Stadt geworden. Einst gab es dort den mit 15 Stockwerken höchsten Paternoster der Welt. Heute ist in dem Gebäude das Kulturareal „Unterm Turm“ zu Hause – mit mehreren Theatern und kulturpädagogischen Einrichtungen. Mit der alten, hölzernen Standseilbahn, die einst den Spitznamen Witwen- oder Erbschleicher-Express hatte, zuckelt man schon seit dem 30. Oktober 1929 ab dem Südheimer Platz in Heslach zum Waldfriedhof hinauf, wo man die Gräber wichtiger Prominenter, unter ihnen Oskar Schlemmer oder Adolf Hölzel, besuchen kann.

Und nachts, da trifft sich Stuttgarts Szene an einem ehemaligen Klohäuschen von 1926 – am Palast der Republik in der Friedrichstraße. Weil’s drinnen so eng ist, wird meistens auf dem ganzen kleinen Platz gefeiert. Auch viele Waldheime sind geblieben. Noch heute sitzt man an schönen Sommerabenden in Heslach oder Sillenbuch und genießt zum Feierabendbier Maultaschen oder Linsen mit Spätzle.

Eine Bar wie vor 100 Jahren
Und eine brandneue 1920er-Jahre-Location hat Stuttgart auch, noch dazu eine ziemlich exklusive: das im Stil der damaligen Zeit eingerichtete Jigger & Spoon in der Gymnasiumstraße – eine Cocktailbar in einem ehemaligen Banktresor. Man muss klingeln, um eingelassen zu werden, und dann mit dem Fahrstuhl erst einmal zwei Stockwerke abwärts fahren. „Wir wollten an die Tradition der amerikanischen Speak-Easy-Bars während der Prohibition anknüpfen“, erzählt Eric Bergmann, dem gemeinsam mit Uwe Heine die Bar gehört. Zehn Monate hat es gedauert, um aus dem Tresor eine Location wie vor 100 Jahren zu machen, natürlich mit WLAN und modernen Cocktails. An wertvolle Schätze erinnern nur die Vergitterungen der ehemaligen Tresorräume. Aber eine Goldgrube ist das Jigger & Spoon immer noch. Stuttgart feiert gern hier unten. Ein bisschen Underground. Ein bisschen Avantgarde. Bis heute.

Weitere Informationen:
Zu Stuttgart und seiner Kunst: www.stuttgart-tourist.de

Buch-Tipp:
Mehr über die Stuttgarter Avantgarde der Zwanzigerjahre gibt es im frisch erschienenen Buch „Stuttgart und das Bauhaus“ von Anja Krämer und Inge Bäuerle (136 Seiten, Belser Verlag Stuttgart, 25,00 €, ISBN 978-3-7630-2822-1).

Dieter Buck
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Artikel über Reisen und was schön daran ist: http://reisen-und-urlaub.blogspot.com, Artikel über die Welt der Alpen: http://alpen-blog.blogspot.com, Besprechungen von Reise- und Wanderliteratur: http://reisebuecherwanderfuehrer.blogspot.com, Artikel über Baden-Württemberg: http://baden-wuerttemberg-blog.blogspot.com, Artikel über Stuttgart: http://der-stuttgart-blog.blogspot.com, Artikel und vor allem schwarzweiß-Fotos von und über Stuttgart für Minimalisten unter den Freunden der Fotografie: http://stuttgart-schwarz-weiss.blogspot.com.
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Donnerstag, 2. Mai 2019

Emma von Bergenspitz: Glücksorte in Stuttgart

Emma von Bergenspitz:
Glücksorte in Stuttgart


Wer beim Titel des neuen Buchs „Glücksorte in Stuttgart“ aus dem Verlag Droste an esoterisch angehauchte Steinkreise oder Kraftorte denkt, liegt falsch. Schon die moderne Aufmachung des Werks, mit kleinen, comicähnlichen Zeichnungen beliebter Sehenswürdigkeiten der schwäbischen Landeshauptstadt auf dem Titel, weist eher auf einen Reiseführer als auf ein Meditationshandbuch hin.

Und genau das will „Glücksorte in Stuttgart“ von Emma von Bergenspitz auch sein – und noch ein wenig mehr.

Wo Reiseführer normalerweise für Menschen gemacht sind, die nicht in den beschriebenen Orten leben, richtet sich das vorliegende Buch ebenso an Einheimische und neu zugezogene Stuttgarterinnen und Stuttgarter. Die Autorin hat sorgfältig 100 Orte ausgewählt, die für sie „Glücksorte“ darstellen. Wobei der Begriff Glücksort wie folgt beschrieben wird: „…besondere Orte, die ihre Besucher begeistern. Orte, wo man sich zu Hause, heimelig, glücklich fühlt und wo mit viel Herz gearbeitet wird. Man kann dort entspannen und abschalten oder tolle Menschen treffen.“

Neben alten Bekannten, wie dem Fernsehturm, der Wilhelma oder der Markthalle, die Einheimischen, Zugezogenen aber auch Touristen ein Begriff sein dürften, zaubert von Bergenspitz aber auch die einen oder anderen verborgene Schätze hervor: Beispielsweise die Galerie Valentin, beherbergt in einer von Paul Bonatz erbauten Villa, der bekanntlich auch für den alten Stuttgarter Hauptbahnhof verantwortlich zeichnet. Aber auch besondere Restaurants, Cafés und Läden werden vorgestellt und laden dazu ein, ihnen bei nächster Gelegenheit einen Besuch abzustatten. Die Autorin blickt sogar über den Teller- bzw. Kesselrand hinaus und weist auf Ausflugsziele wie Tripsdrill, den Ebnisee sowie den bezaubernden alternativen Freizeitpark EINS + ALLES hin.

Neben der Vorstellung der „Glücksorte“ finden sich zahlreiche Anekdoten und historische Hintergrundinformationen in den schön formulierten Beschreibungen, sodass es Spaß macht, durch das Buch zu blättern. Einzig bei der Bilderauswahl hätte vielleicht ein wenig mehr Sorgfalt walten können, sind manche doch etwas verschwommen oder dunkel. Aber schließlich soll das Buch ja dazu anregen, sich vom Sofa zu erheben und das Glück an den beschriebenen Orten zu suchen. Und das Bild, das man sich dabei selbst macht, ist immer noch das schönste. Und wenn man dann noch glücklich von dem Ausflug nach Hause zurückkehrt, hat die Autorin alles richtig gemacht!

Zur Autorin
Nach einem Jahr Weltreise ist Emma von Bergenspitz wieder in ihrer Wahlheimat Stuttgart unterwegs – als Journalistin, Bloggerin und Moderatorin. Immer auf der Suche nach neuen Inspirationen und Menschen aus dem Kessel – und natürlich auch nach Glücksorten.

Emma von Bergenspitz: Glücksorte in Stuttgart. 168 Seiten, Klappenbroschur. Droste Verlag, 2019. ISBN 978-3-7700-2120-8. 14,99 €.
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