Slow Food:
„Billig ist
eigentlich teuer“
Interview mit Dr.
Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, zum Stuttgarter „Markt
des guten Geschmacks – die Slow Food Messe“
Seit
Juni 2012 leitet Dr. Ursula Hudson die Geschicke von Slow Food Deutschland. Im
Vorfeld des „Markt des guten Geschmacks – die Slow Food Messe“ (10. – 13 April)
erklärt sie warum regionale Lebensmittel nicht zwangsläufig gute Lebensmittel
sein müssen, warum billige Einkäufe langfristig richtig teuer werden können und
welche sinnvollen Alternativen es zum Einkauf im Supermarkt es gibt.
Frage: Frau Dr. Hudson, der Lebensmitteleinzelhandel hat als neuen Trend
das Thema „regionale Lebensmittel“ ausgemacht. Für eine Organisation wie Slow
Food, die sich die regionale Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, muss das
doch ein Grund zur Freude sein, oder?
Dr. Ursula Hudson: Natürlich ist das
ein Grund zur Freude – aber nicht ausschließlich, denn ganz so einfach ist es
nicht. Neben der Regionalität müssen wir auch die Qualität des Lebensmittels
beachten. Qualität orientiert sich in der Vorstellung von Slow Food
grundsätzlich an den Prinzipien gut, sauber und fair: Lebensmittel müssen schmackhaft,
nahrhaft und frisch sein, sie müssen hergestellt sein, ohne Schaden an Umwelt,
Mensch oder Tier anzurichten, und sie müssen mit fairen Löhnen und zu fairen
Preisen vertrieben werden. Die Regionalität spielt da hinein – gerade frische Lebensmittel,
die nur kurze Wege zurücklegen müssen, können zum Beispiel mit einem optimalen
Reifegrad geerntet werden und sind dadurch nahrhafter und geschmackvoller. Aber
alleine reicht uns die Regionalität als Qualitätsprinzip noch nicht.
Neben verschiedensten Labeln für regionale Produkte findet man im Supermarkt
aber auch immer weitere Labels und Siegel: Bio, Öko, Fair Trade, … Der
Verbraucher weiß schon gar nicht mehr, nach was er Ausschau halten soll. Wann
ist ein Lebensmittel tatsächlich auch ein „gutes“ Lebensmittel?
Für Slow Food ist ein „gutes“
Lebensmittel eines, das den schon beschriebenen Dreiklang gut, sauber und fair
erfüllt. Das erkennen zu können, erfordert tatsächlich etwas Wissen, oder
Übung, weswegen Slow Food durch verschiedenste Aktivitäten Wissen und Können
rund um unser Essen vermittelt. Das sind teils ganz strukturierte Bildungsmodule
für Schulen, aber auch geführte Verkostungen für Erwachsene, gemeinsames Kochen
und ganz einfach mit den Erzeugern zu sprechen und ihre Produkte zu probieren.
Das alles können zum Beispiel die Besucher auf dem „Markt des guten Geschmacks“
erfahren: In den von Fachleuten und Erzeugern geleiteten Geschmackserlebnissen
lernen sie Lebensmittel durch Geschmacksvergleiche und Hintergrundinformationen
intensiv kennen. In der Kochwerkstatt können unsere Besucher mit erfahrenen
Küchenprofis gemeinsam kochen und selbstverständlich kann man überall auf dem
Markt gute, saubere und faire Lebensmittel probieren und mit den Erzeugern, die
oft selbst mit dabei sind, sprechen.
Derartig umfassende, tiefgehende
Informationen, die vor allem auch mit dem sinnlichen Erlebnis des Schmeckens
verknüpft sind, lassen sich durch Siegel schwer darstellen. Siegel, wie zum
Beispiel das Bio- oder das Fair-Trade-Siegel, geben generell in eine ganz
bestimmte Richtung Auskunft, über einen bestimmten Aspekt des Lebensmittels. Der
Slow-Food-Ansatz ist breiter und unmittelbarer, und, das nicht zu vergessen:
genussvoller.
Wir haben jetzt die ganze Zeit über Supermärkte gesprochen. Slow Food liegen
aber vor allem kleine, regionale Produzenten am Herzen, die meist gar nicht in
der Lage sind, ganze Supermarktketten mit ihren Produkten zu bedienen. Wie
komme ich als Verbraucher an diese Produzenten ohne in den Supermarkt zu gehen?
Es gibt da schon viele Möglichkeiten,
wenn auch noch nicht ganz in derselben Angebots-Bandbreite wie das die
Supermärkte anbieten können oder zu denselben Öffnungszeiten. Ich denke an
Biokisten, an Genussgemeinschaften, an Direktbestellungen und an die vielen
Bauernmärkte, die es noch oder schon wieder gibt, und die es sich so lohnt
aufzusuchen: für die Frische der Lebensmittel und die Möglichkeit, die Personen
auch kennen zu lernen, die unser Essen herstellen. Und ein gut geplanter
Einkauf beim Wochenmarkt reicht auch gut und gerne für eine Woche.
Erstrebenswert ist natürlich auch, dass
die Supermärkte ihre regionale Beschaffung ausweiten, also mehr Lebensmittel
anbieten, die tatsächlich aus der Region kommen. So können die Supermärkte eine
Plattform werden, wo die Verbraucher den lokalen Erzeugern und Produkten wieder
näher kommen.
Von vielen Seiten kommt immer wieder der Vorwurf: „Gutes und gesundes Essen
ist in Deutschland viel zu teuer. Das ist nur was für Leute mit einem dicken
Geldbeutel“. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Teuer ist gutes und gesundes Essen nur,
wenn man nicht lokal und saisonal einkauft. Gerade bei Frischeprodukten wie
Gemüse und Obst ist das so: zu den Jahreszeiten, wenn sie Saison haben, sind
sie überaus preiswert, und über das Jahr hinweg hat immer etwas Saison. Wo
nicht, kann man zum Beispiel auf Selbstverarbeitetes zurückgreifen, und sich so
die Sommersonne in den Winter holen.
Vor allem aber müssen wir damit
aufhören, uns von dem Billiggeschrei verführen zu lassen. Billig ist eigentlich
teuer, und die vermeintlich billigen Produkte der Lebensmittelindustrie sind Augenwischerei
– denn wer zahlt die Folgekosten dieser billigen Herstellung? Herstellung zu
Niedrigkosten bedeutet nämlich Massentierhaltung, Auslaugen der Böden oder die
sozialen Langzeitfolgen von Qualifikationsverfall – und das ist für uns als
Gesellschaft, für die kommenden Generationen, sehr teuer.
Slow Food
ist eine internationale Bewegung mit
einem eigenständigen und neuen Ansatz: Verbraucher und Produzenten setzen sich
gemeinsam in einer Organisation für die gleichen Ziele ein. Die Non-Profit-Organisation
engagiert sich für regionale, saisonale und handwerklich hergestellte
Lebensmittel, eine nachhaltige, kleinbäuerliche Landwirtschaft, artgerechte
Tierhaltung und die Bewahrung der Arten- und Geschmacksvielfalt. Die Slow
Food-Bewegung entstand in den 1980er Jahren in Italien und hat heute etwa
100.000 Mitglieder in 150 Ländern, davon über 13.000 in Deutschland.
Info:
www.messe-stuttgart.de/slowfood,
Informationen
zu Slow Food unter www.slowfood.de.
Die Stuttgarter Frühjahrsmessen auf einen Blick
auto motor und sport i-Mobility 10. – 13. April
2014
Fair Handeln 10. – 13. April 2014
Garten Outdoor Ambiente 10. – 13. April
2014
Markt des guten Geschmacks –
die Slow Food Messe
10. – 13. April 2014
Kreativ 10. – 13. April 2014
Yoga Expo 10. – 13. April 2014
Mineralien, Fossilien, Schmuck 11. –
13. April 2014
Haus, Holz, Energie 11. – 13. April
2014
Die Stuttgarter Frühjahrsmessen haben
täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, am Donnerstag, 10. April, von 14 bis 22 Uhr
(Nacht der Sinne). Eintrittskarten kosten inklusive VVS-Kombiticket 13 Euro,
ermäßigt 10 Euro. Die Karten berechtigen zum Besuch aller an diesem Tag
parallel stattfindenden Messen. Kombitickets für die Anreise zu den Stuttgarter
Frühjahrsmessen sind bei den Easy-Ticket-Vorverkaufsstellen, den
Toto-Lotto-Verkaufsstellen im VVS-Gebiet, an den SSB-Automaten und Verkaufsstellen
erhältlich.
Martha Buck
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